Willst du eine Postkarte verschicken? Soll ich dir eine Postkarte schicken? Ich kann dir auch einen Aufkleber schicken, dann kannst du selber Postkarten bestickern. Oder du könntest etwas anderes bestickern. Der Sticker muss nicht an deinem Handy sein, du darfst ihn auch einer anderen Person ankleben, oder jemensch in die Sammlung schmuggeln. Die Sticker sind gratis, respektive, auf Kollektenbasis. Schick mir Deine Adresse, ich kann sie dir per Post zukommen lassen. Auch mehrere. Schau dich um, vielleicht entdeckst du in deinem Umfeld auch eine Klitoris. Schau auf Handys, Strassenpfeilern, Töffs, Helmen, überall. Volià, da hast du’s. Eine Klitoris. Viele Klitoriden. Bilder von Klitoriden. Oder eher ein Symbol.

Ausführliche Bilder der Klitoris sind in der Geschichte bereits schon öfters auf- und abgetaucht. Sie ist nicht erst heute neu entdeckt worden. Sie konnte sich einfach noch keinen angemessenen Platz in Institutionen wie der Medizin, der Sexualaufklärung oder der Kunst halten.
In der Medizin veröffentlicht Helen O’Connell mit The Anatomy of the Clitoris 2005 ihre wissenschaftlichen Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Mit Hilfe von MRI und Mikrosezierung zeigt sie die Funktion und Struktur der Klitoris auf. Die Klitoris liegt als mehrschichtige Struktur tief bei den inneren und äusseren Vulvalippen, dem Musculus Bulbospongiosus, dem Schliessmuskel der Vagina, und dem Musculus Ischiocavernosus. Sie besteht aus der Klitorisspitze (die Klitoriseichel) und aus dem Klitoriskörper, der in gepaarten Schenkeln und Schwellkörpern endet. Die pyramidenförmige Struktur erstreckt sich vom Venushügel bis beidseitig seitlich auf Höhe des Anus. Unter einigen Nervenverzweigungen in Schenkeln und Schwellkörpern verläuft ein dicker Nervenbund in Richtung Klitoriseichel, der mit seinen 2mm Durchmessern von blossem Auge erkennbar ist. Die Klitoris hat eine Vorhaut (die Kapuze).

Also, willst du eine Postkarte verschicken? Soll ich dir eine Postkarte schicken? Ich kann dir auch einen Aufkleber schicken, dann kannst du selber Postkarten bestickern. Du könntest auch etwas anderes bestickern. Oder soll ich dir eine Postkarte schicken? Wenn sie dann an deinem Kühlschrank klebt, fragt dich bestimmt jemensch: Was ist das? Und dann kannst du sagen, etwas abstraktes, von einer Künstler*in. Oder ein Dino, eine Blume, ein Oktopus. Hast du gewusst wie intelligent Oktopoden sind? Sie können Drehverschlüsse von Konservierungsgläsern öffnen. Kennst du My Octopus teacher? Ich würd am liebsten einen Film drehen, My Clitoris Teacher. Die formale Analogie ist verblüffend. Eine klitorale Struktur. Ein Kopf mit Kapuze und Schenkel und Schwellkörper wie Tentakeln. Die Ähnlichkeit fasziniert mich. Der Oktopus kann sich so genial an seine Umgebung anpassen, da ist er fast nicht mehr sichtbar. Die Klitoris ist auch fast nicht sichtbar. Sie ist perfekt in ihrer Umgebung eingebettet. In ihrem Vulvamantel ist es warm und wohlig. Lustvoll kann sie sich mit Blut vollpumpen und tanzen. Sie kann auch singen. Ich habs gesehen. Am Roxy Theater in Basel. Henrike Iglesias hiess das Autorinnen- und Performerinnenkollektiv. Eine Klitoris hat in Fleisch und Blut auf der Bühne gesungen. Life und zugleich grossformatig auf Leinwand übertragen. Und chillen kann sie auch. Und schlecht fühlen natürlich und Hunger haben und so weiter. Also, wenn dich jemand fragt, was der Aufkleber auf der Postkarte an deinem Kühlschrank ist, hast du eine Möglichkeit über die Klitoris zu sprechen. Es ist interessant, glaub mir. Die Reaktionen sind so verschieden wie die Menschen verschieden sind.

Oh, ja. Ich denk, ich wiederhol mich oft. Der „wissenschaftliche Teil“ meiner Ansprache hier, habe ich mehr oder weniger aus meinem Leistungsnachweis herauskopiert. Die Form der Klitoris, die habe ich auch schon zu tausend, vielleicht zu zehntausend nachgeahmt in Klebefolie und Material. Manchmal denk ich, ich bin wohl besessen, beklittet oder sowas. Aber dann: es gibt in fast jeder Menschen Konstellation, in der die Klitoris Gesprächsthema wird eine Person, die nicht mehr als die Klitoriseichel kennt.

Anders als O’Connell sucht Mark J. Blechner In The Clitoris: Anatomical and Psychological Issues nach Gründen, wie die Falschdarstellung oder die Zensur geschah. Ist es, weil die Anatomie hauptsächlich von männlichen Forschern betrieben wurde und diese an weiblicher Sexualität schlicht uninteressiert waren? Oder liegt eine Angst vor der mächtigen, weiblichen Sexualität seitens des Patriarchats vor? Muss die weibliche Sexualität dermassen kontrolliert und unterdrückt werden, damit das Patriarchat aufrecht stehen kann? Er verweist dabei geschickt auf die Ägyptische Physikerin, Aktivistin und Feministin Nawal el Saadawi, die dieses Argument in ihrem Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung FGM (engl. female genital mutilation) benennt. Die Beschneidung und Zensur der weiblichen Sexualität und Lust sei ein gewaltvoller Kontrollmechanismus der patriarchalen Struktur, um eine Frau an einen Mann zu binden, zu unterwerfen und ihr die Macht zu nehmen. Sie nennt es in anderen Worten einen Neid und eine Angst vor der weiblichen Lust und somit deren Macht.
Die Zensur der Klitoris in Anatomiebüchern mit FGM, also dem teilweise oder ganzen herausschneiden der Klitoris aus einem Körper zu vergleichen, empfinde ich als eine plausible These. Sie bringt die Frage auf, was die Klitoris hat, dass es sich für Vertreter*innen von Institutionen lohnt, die Klitoris auf systematische Art und Weise auszuschliessen aus Büchern, Wissen, Köpfen und - schliesslich physisch - aus Körpern. Die Verneinung der Klitoris macht die Klitoris für mich noch interessanter als sie per se bereits ist. Sie erscheint mir lustvoller, kraftvoller als alles mir bekannte: ein unbezwingbares, eigensinniges, mächtiges Wesen das seit Jahrhunderten institutionell ausgeschlossen wird oder und aufgrund bestehender Machtverhältnisse eben auch selber Mauern aufzieht, die ihr den Weg blockieren. Ich beziehe mich hier auf Sara Ahmed s Buch Living a Feminist Life, respektive das Kapitel Brick Walls.

Also, willst du eine Postkarte verschicken? Soll ich dir eine Postkarte schicken? Ich kann dir auch einen Aufkleber schicken, dann kannst du selber Postkarten bestickern. Du könntest auch etwas anderes bestickern. Oder soll ich dir eine Postkarte schicken? Du kannst sie auch einer anderen Person schenken. Oder jemensch in die Sammlung schmuggeln. Du darfst mit allen darüber sprechen. Du kannst Fragen stellen. Wie gross ist die Klitoris? Sieben bis 10 Zentimeter? Die Klitoris hat über 8000 Nervenenden? Wo lebt die? Was macht sie den ganzen Tag? Sie ist wie eine Blume. Oder ist die Klitoris wie ein Tier? Wie ein Mensch? Ist die Klitoris ein Wesen? Wir können ihr in jedem Fall einen Namen geben. Willst du, dass ich dir eine Postkarte schicke?